Dumaguete, im Süden von Negros-Oriental gelegen, ist eine Stadt in der Grösse von Luzern und hat zur Zeit 116 Tausend Einwohner. Die Stadt ist sehr charmant und gemütliche, vielleicht gerade darum wohnen hier über 8'000 Expats, d.h. niedergelassene Ausländer. Ein Grund mehr hier zu wohnen ist sicher auch das tropische Klima und das sehr niedrige Preis-Niveau der Philippinen im Allgemeinen. Natürlich ist Dumaguete eine moderne Stadt. Es gibt mehrere Spitäler, Einkaufszentren, Universitàten und sonst so alles, was man zum Leben benötigt. Mit der AHV würde es sich hier sehr angenehm leben lassen. Aber der "Alterssitz" ist nicht das heutige Thema, heute geht es um "Freiheit und um Sicherheit".
In dieser ruhigen Stadt mit ihren 116 Tausend Einwohner gibt es keine einzige Ampel. Es gibt auch keine Stoppstrasse. Ich habe auch keine Parkuhren gesehen. Hupen fehlt hier im Strassenbild ebenfalls, der Verkehr läuft ruhig. Das andauernde Gehupe ist ja auch nur ein Zeichen von Nervosität mit einem Schuss Agression. Das fehlt hier vollständig. Polizisten und Politessen wären hier die überflüssigste Spezies, da es mangels Verbote nichts zum büssen gibt. Sehr selten, und wenn ich wirklich Glück habe, sehe ich vielleicht einmal zwei oder gar drei Polizisten in einem Auto vorbei fahren. In der Regel winken sie mir dann zu, vielleicht, weil ich ein freundlicher Ausländer bin. Es gibt auch keine bestimmte Regeln für Fussgänger. Man hält an Fussgängerstreifen (gibt es) generell nicht an und auch der Fussgänger wartet nicht, bis die Strasse frei ist. Er läuft i.d.R. einfach irgendwo über die Strasse und stimmt sein Tempo mit dem des Verkehrs ab, im Prinzip so, wie beim schweizerischen "Reissschlussverfahren" zum Einspuren. Anhalten ist das Dümmste, für den Fahrer und für den Fussgänger. Da das niemand macht, weiss dann auch keiner, wie es weitergeht und der gesamte Verkehr kommt irgendwie aus dem Fliessen zum totalen Stillstand. Der Fussgänger bewegt sich nicht und der Fahrer fährt nicht, bis irgend eine Kommunikation - sei es durch Worte oder mit Blicken - zwischen den Beiden in Gange kommt, und sich einer der Beiden wieder bewegt. Dann kommen die gestauten Fahrzeuge und Fussgänger langsam wieder in Fahrt, resp. zurück ins normalen "Verkehrsleben". Der Rede kurzer Sinn, es ist das total Chaos. Das ist nicht negativ gemeint. Ehrlich, ich liebe dieses Chaos. Der Verkehr steht nie still, er bewegt sich immer, aber langsam und alle am Verkehr teilnehmenden sind lückenlos beieinander. Wenn wir manchmal morgens in die Stadt kommen und am Markt vorbei fahren, ist es das "Chaos Total". 100-e von Tricycles, Fussgänger, Motorradfahrer, Lieferwagen und anderes sind - langsam - unterwegs. Es wird um jeden Meter "gekämpft", man hält nur an, wenn nötig oder wenn es nicht mehr anders geht, Aber das Wichtigste ist, niemand fährt oder bewegt sich im Verkehr aggressiv.
Es gibt noch mehr zum Erzählen. Ein Helm auf dem Motorrad wird, wenn überhaupt nur bei Regen getragen, damit der Fahrer nicht nass wird. Die Anzahl der transportierten Leute ist nur durch den Platz beschränkt, Da die Philippinen kleine und i.d.R. schlanke Leute sind, fahren 6 oder 7 Personen auf einem Motorrad mit. Bei den Bussen steht man bei Platzmangel dann hinten draussen oder die Leute setzten sich einfach auf das Dach. Wann bei den Tricycles das Maximum an Passagieren erreicht ist, weiss ich nicht. Irgendwie findet immer noch einer im total überfüllten Fahrzeug ein Plätzchen. Kinder sitzen hinten und vorne auf dem Motorrad und manchmal schlafen sie in den Armen der mitfahrenden Mutter oder essen ein Eiscreme.
Noch etwas zu den Führerscheinen. Nathalie mach z.Z. die Motorradprüfung, d.h. Sie bezahlte 300 Pesos - sechs Franken - für den "Lernfahrausweis". Damit fährt man einen Monat und dann bekommt man den Fahrausweis, für's Motorrad und natürlich für das Auto. Man muss dann für eine kurze Zeit - eine oder zwei Stunden - in einem Klassenzimmer an einem Kurs für den "Verkehr" teilnehmen, vielleicht erfährt man dort etwas von Ampeln und Stoppstrassen :-)) ... Aber zeigen, dass man ein Fahrzeug fahren kann, muss man nicht. Es gibt keine Fahrstunden.
Ups, fast vergessen ... eine Regel gibt es: Es wird rechts gefahren. Es gibt auch kleinere Einschränkungen: An einer viel befahrenen Kreuzung nahe dem grössten Shopping-Center regelt in der Stosszeit eine Hilfskraft zeitweise den Verkehr. Die Strasse am Holly Child Hospital ist tagsüber eine Einbahnstrasse.
STATISTIK
Es gibt einen interessanten Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO), worin man die Unfall-Opfer der Bevölkerung pro 100'000 Einwohner nachschlagen kann. Daraus geht klar hervor, dass die armen Länder, zu denen die Philippinen ganz sicher gehören, mehr Unfallopfer zu beklagen haben als die reichen. Das liegt vor allem am Zustand der Strassen und den am Verkehr teilnehmenden Fahrzeuge. Die Leute hier in den Philippinen können sich einfach nicht alle paar Jahre ein neues Verkehrsmittel leisten. Ein Fahrzeug wird erst dann aus dem Verkehr gezogen, wenn es wirklich nicht mehr reparierbar ist.
Die Schweiz und Norwegen haben mit 4,3 Unfall-Opfern per 100'000 Einwohner einen Spitzenplatz inne, nur Schweden ist mit 3.0 noch sicherer. Deutschland liegt bei 4,7 und Frankreich bei 6.4. Die Philippinen, Ungarn und Neuseeland beklagen die gleiche Opferzahl, nämlich 9.1. Das mit den Philippinen vergleichbare Thailand beklagt 38.1 Verkehrstote per 100'000 Einwohner und damit ist es dort um ein Vielfaches gefährlicher, sich im Verkehr zu bewegen.
In den meisten Ländern liegt die Anzahl der Todesopfer im Verkehr im zweistelligen Bereich. Liegt es nun an den zur Anwendung kommenden Verkehrsvorschriften, dass die Philippinen eher zu den verkehrssicheren Ländern gehören? Jeder darf sich seine eigene Meinung bilden, aber ich persönlich denke, dass es an der extrem defensiven und "freundlichen" Fahrweise der Philippinen liegt. Dabei muss man bedenken, was sich hier neben dem Verkehr sonst noch alles Gefährliches auf der Strasse bewegt: Man sieht viele Kühe "Wagen" ziehen, welche nicht einmal Räder haben, so eine Art Schlitten aus Bambus. Zudem spielt sich ein Grossteil des Lebens auf der Strasse ab. Da ist die Strasse der Spielplatz. Von der Gefährlichkeit der schlafenden Hunde mitten auf der Strasse oder den weidenden Kühen und Ziegen direkt am Strassenrand wollen wir erst gar nicht sprechen ...
Und was bringen die Regeln, resp. die Verkehrsgesetze? Natürlich bringt eine Helm- oder Anschnallpflicht Sicherheit in den Verkehr. Aber darum geht es nicht. Es geht um all die perfiden Gebote und Verbote welche das Leben bis ins kleinste Detail regeln sollen.
Was hat das alles mit Freiheit und Sicherheit zu tun? Nun, Freiheit und Sicherheit schliessen sich gegenseitig aus, d.h. Sicherheit kann nur durch Regeln, welche die Freiheit einschränken, erreicht werden. Totale Sicherheit im Verkehr lässt sich nur dann erreichen, wenn mittels Verboten der Verkehr auch total eingeschränkt wird. Obwohl es hier in Dumaguete praktisch keine Regeln gibt, funktioniert der Verkehr relativ stressfrei. Wir haben nun mit dem Motorrad 6'000 km zurück gelegt und ich finde, dass das Fahren hier nicht gefährlicher oder risikoreicher ist, als das Fahren in der "regelwütigen" Schweiz oder anderswo in Europa. Weil sich alle Verkehrsteilnehmer sehr defensiv verhalten, ist die Teilnahme am Verkehr eher mit weniger Stress verbunden. Was einem das Leben hier sehr erleichtert ist, dass es keine Polizisten und Politessen mit Busskatalogen gibt, welche ein vorgegebenes Budget einhalten müssen und darum jedes auch nur kleinste Vergehen "pingelig" und nicht ohne Genuss und mit ein wenig Schadenfreude büssen, so im Stil "Oberlehrer". Es gibt im Verkehr keine oder sehr wenige Vergehen und darum sieht man auch keine Polizisten. Der Verkehr regelt sich von selbst. Und, funktioniert es? Es funktioniert.
Auch das Parkieren funktioniert ohne jeden Stress. Mein bevorzugter Parkplatz liegt im Holy Child Spital, weil sehr zentral gelegen. Ich fahre in den Innenhof und stelle dort das Motorrad ab. Ein leicht behinderter Mann übernimmt das Parkieren und, sollte ich - was ab und zu vorkommt - den Schlüssel vergessen, dann verwahrt er ihn, bis ich zurück komme. Ebenfalls kann man das umständliche Abschliessen vergessen. Wenn ich zurückkomme, dann sieht er mich und das Motorrad ist bereit zum Wegfahren. Das kostet natürlich etwas: 5 Pesos. Ich gebe ihm als "Expat" 10 Pesos und er quittiert dies mit einem herzlichen Lachen (10 Pesos = 20 Rappen).
Dies ist alles subjektiv empfunden und ob das Eine oder Andere besser oder schlechter ist, kann jeder für sich selber entscheiden. Die Frage ist, brauchen wir für jede Kleinigkeit eine Regel oder ein Gesetz? Ich, als erwachsener Mensch - auch ausserhalb des Verkehrs - benötige sicher nicht für alles und jedes eine Vorschrift mit dem dazugehörenden Überwachungs- und Vollstreckungsorgan. All diese Regeln, Gesetze und die heutige elektronische Überwachung schränken die Freiheit ein, stressen und dienen eigentlich nur dem einen, die Staatskassen hinterhältig zu füllen ...
Diese "Geschichte" um den Verkehr ist ja nur ein kleiner "Ausschnitt" aus dem Alltagsleben der Bewohner eines fremden Landes. Sie ist derart ungewohnt und exotisch, dass man beinahe nicht verstehen kann, dass es so funktioniert. Wir sind der Meinung, dass gerade die Andersartigkeit eines Landes das Reisen so lohnenswert macht ...
"Chaos Total" = Normalzustand in den Philippinen.
An Motiven für Fotos gibt es in den Philippinen keinen Mangel. Aber trotzdem ist es nicht ganz einfach, solche Momente aufzunehmen. Für die Aufnahme hat man vielleicht eine Sekunde Zeit, denn nach diesem kurzen Augenblick ist die Situation eine andere. In der Regel läuft jemand in das Bild hinein oder ein vorbei fahrendes Fahrzeug macht das Foto unbrauchbar. Ist diese "Störung" vorbei gezogen, dann ist auch das Motiv verschwunden ... Wie auch immer, wir hoffen, dass durch diese Bilder die obige Beschreibung etwas verständlich wird.
"Jeepney", eines der typischen philippinischen Verkehrsmittel ...